Der Herbst ist der Frühling des Winters
Der Herbst ist der Frühling des Winters
Innerhalb weniger Tage ist mir dieses Wort dreimal begegnet:
Der Herbst ist der Frühling des Winters.
Im ersten Anflug hielt ich das für ein nichtssagendes, absurdes Wortspiel (ähnlich dem Satz: Nachts fährt die Straßenbahn schneller als auf Schienen). Dann aber wurde der Name ‘Henri de Toulouse-Lautrec‘ genannt, ein französischer Maler und Grafiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dem dieser Satz zugeschrieben wird.
Allmählich fiel bei mir der Groschen, denn zur Sprache eines Malers gehören Formen und Farben. Wie die Blüten der Bäume und Sträucher dem Frühjahr ein buntes Gewand geben, das sich durch das zarte noch frische Grün hindurchschiebt, so ist es im Herbst das Blattwerk, das sich in gelbe, rote und braune Töne verfärbt und in dieser Farbenpracht noch einmal aufleuchtet, bevor es abgeworfen wird. In dieser Weise bereitet der Frühling die Natur auf den Sommer vor und der Herbst auf den Winter. Im Sommer dazwischen wachsen die Früchte. Da zeigt die Farbe, die sie zum Ende hin annehmen, ihre Reife an.
Analog dazu kennen auch wir Menschen unterschiedliche Lebensphasen: Zeiten des Blühens, Zeiten des Wachsens und Reifens und Zeiten der Ernte, in denen wir unsere Früchte bewundern und genießen können. Solche Zeiten sind unterschiedlich lang und nicht an Jahreszeiten gebunden. – Ja, das Leben ist bunt. Nur der Winter nicht. Er ist die Zeit der Ruhe, des Nachdenkens, des Abwartens und Aushaltens, der Geduld, die Zeit für den Ausblick und … die Zeit für das Sterben, die Zeit für den Tod.
Von dem Schauspieler Ernst Ginsberg ist überliefert, dass er auf seinem Sterbelager, als er nicht mehr sprechen konnte, folgende Zeilen schrieb:
„Zur Nacht hat ein Sturm alle Bäume entlaubt. Schau sie an, die knöchernen Besen. Ein Narr, wer bei diesem Anblick glaubt, es wäre je Sommer gewesen. Und ein größerer Narr, der träumt und sinnt, es könnte je wieder Sommer werden. Und grad diese gläubige Narrheit, ist die sicherste auf Erden.“
Farben hat der Winter nicht. Seine Farbe ist das kommende Licht. Totes wandelt sich und lebt auf. Gott ermöglicht neues, sogar ewiges Leben.
Herzlichen Gruß
Ihr Pastor Thomas Nal